Kommentar: Warum ST II Trauma kann und „New Trek“ nicht

Beinahe vier Jahre nach meinem ersten Kommentar zu „New Trek“ (hier nachzulesen) nutze ich das Ende von Star Trek: Discovery als Anlass, mich mal wieder schriftlich an euch, liebe Trekkies, zu wenden. In diesem Jahr jährt sich außerdem zum 41. Mal die Veröffentlichung von Star Trek II: Der Zorn des Khan, was ich zum Anlass nehmen möchte, den Film mit neuem Trek zu vergleichen. Dabei will ich kritisch untersuchen, warum STII in manchen Punkten glänzt, während „New Trek“ (also alles, was ab dem 2009er Star Trek-Film von J. J. Abrams erschienen ist) in denselben Bereichen schwächelt. Keine Sorge: Ich möchte nicht nörgeln oder hasserfüllt klingen, sondern aufzeigen, was die aktuellen Trek-Macher von dem Film lernen könnten, um mehr „Trek“ und weniger bloßen „Content“ zu produzieren.


Vorab eine Klarstellung
Anhand des Titels könnten manche erwarten, dass dies einer dieser üblichen Kommentare wird, in denen sich ein verbitterter, mittelalter, cis-hetero, weißer Mann über zu viel „Woke“-Haltung, zu viele Frauen und zu wenig weiße Männer in neuem Trek beschwert. Aber genau das wird es nicht sein. Versprochen. Erstens bin ich gerade 47 geworden und fühle mich weder verbittert noch bin ich hier, um die neuen Star-Trek-Serien oder -Filme zu verurteilen – schon gar nicht aus jenen Gründen. Star Trek war schon immer progressiv. Wer glaubt, erst jetzt bemerkt zu haben, dass es sozialbewusst und liberal ist, sollte sich vielleicht erneut das alte Trek ansehen, denn er oder sie hat offenbar wichtige Elemente übersehen. Dazu gehören übrigens auch viele der Verantwortlichen, die hinter den aktuellen Produktionen stehen.


Rückblick und Definition
Ursprünglich mochte ich die neuen Star-Trek-Produktionen, die für diesen Essay alles umfassen, was ab dem Star Trek-Film von 2009 entstand. Der Zorn des Khan gilt für viele Fans – auch für mich – als einer der besten Beiträge der ganzen Reihe. Deshalb ist es spannend, ihn direkt mit „New Trek“ zu vergleichen und zu betrachten, warum er in Bereichen überzeugt, in denen NuTrek versagt (oder zumindest schwächelt). Als Beispiel: Oft wird neuem Trek vorgeworfen, ständig rückwärts statt vorwärts zu blicken. Statt „boldly go“ und sich in unerforschte Gebiete vorzuwagen, belebt es immer wieder alte Lieblingsfiguren und erzählt fast nur Vorgeschichten (Prequels) oder bindet sich eng an den etablierten Kanon. Man könnte sagen, NuTrek suhlt sich gern in bekannten Referenzen, aber eigentlich war Der Zorn des Khan in gewisser Weise auch eine Fortsetzung zur TOS-Episode „Space Seed“. Das Problem ist also nicht, dass alte Elemente aufgegriffen werden, sondern wie und zu welchem Zweck sie genutzt werden.


Alte Elemente als reiner Fan-Service?
In „New Trek“ wirken viele Anspielungen wie reiner Fan-Service, der auf Nostalgie setzt, statt auf echte Substanz. Ein gutes Beispiel ist die beinahe obsessive Beschäftigung mit Spock: Egal ob in den Kelvin-Filmen, in Discovery oder Strange New Worlds – ständig wird Spock hervorgekramt oder mit anderen klassischen Elementen kombiniert, um Fans ein vertrautes Gefühl zu geben. Das muss nicht schlecht sein, kann aber leicht faul und anbiedernd wirken, weil man lieber Bewährtes recycelt, anstatt kreative Risiken einzugehen. Genau hier sticht Der Zorn des Khan positiv hervor. Er greift zwar mit Khan einen Charakter aus der Originalserie auf, begnügt sich aber weitgehend damit, den minimal nötigen Hintergrund zu liefern. Der Film setzt nicht auf Rückblenden, Easter Eggs und augenzwinkernde Verweise, sondern erzählt eine eigenständige Geschichte, in der Khan einfach Kirks alter Feind ist. Was zwischen ihnen in „Space Seed“ geschah, wird kaum erwähnt. Uns wird klar: Khan will Rache. Mehr müssen wir nicht wissen. Die Handlung blickt nicht pausenlos zurück, sondern konzentriert sich aufs Hier und Jetzt.


Altes als Fundament für Neues
Das ist ein entscheidender Unterschied: Der Zorn des Khan nutzt den Kanon als Gerüst, um eine neue Geschichte zu erzählen, anstatt sich von ihm fesseln zu lassen. Nicholas Meyer und Harve Bennett, die kreativen Köpfe dahinter, behandelten Star Trek als das, was es ist: eine fiktive Vorlage, keine unantastbare Schrift. Sie wollten in erster Linie eine spannende, glaubwürdige Geschichte liefern. Traumata als prägende Elemente gab es in Star Trek natürlich schon immer, aber gerade in „New Trek“ erscheinen sie manchmal übermäßig. Eine der deutlichsten Stellen ist vielleicht Staffel Zwei von Star Trek: Picard, in der Picards Kindheitstraumata plötzlich als Kern seiner Identität dargestellt werden. Das Problem ist nicht, dass man Figuren eine traumatische Vergangenheit gibt, sondern wie stark man sie damit definiert. Gerade bei Picard wirkt es so, als ob dieses Trauma eine nachträgliche Erklärung für alles ist, was er später tat. Das kann schnell unglaubwürdig oder aufgesetzt wirken, wenn es nicht organisch eingebettet ist.


Kirk, Khan und David
In Star Trek II hingegen geht es nicht um Kirks plötzlich offenbartes Kindheitstrauma. Er wird vielmehr von vergangenen Entscheidungen eingeholt, die wir als Zuschauer theoretisch selbst miterlebt haben oder zumindest kennen. Khan symbolisiert Kirks Überheblichkeit: Kirk hatte ihn auf Seti Alpha V ausgesetzt und danach nie wieder kontrolliert, was aus ihm wurde. David Marcus, Kirks Sohn, verkörpert wiederum einen alternativen Lebensweg, den Kirk nie eingeschlagen hat. Das sorgt für eine Midlife-Crisis, ohne dass Kirk durch eine ewig gehegte psychische Wunde gepeinigt wird. Er hat stattdessen die Konsequenzen früherer Versäumnisse zu tragen. Dadurch wird seine Geschichte glaubwürdig: Kirk hat Khan und David schlicht verdrängt – und muss nun erkennen, dass man sich selbst im All nicht vor der eigenen Vergangenheit verstecken kann.


Trauma als zentrales Thema
Das heißt nicht, dass in „New Trek“ alles falsch läuft. Es geht eher darum, wann und wie man traumatische Erlebnisse einsetzt und wie sehr sie eine Figur definieren. Viele Star-Trek-Charaktere hatten dramatische Hintergründe: Worf wurde als Kind Waise, Tasha Yar wuchs unter furchtbaren Bedingungen auf, Siskos Frau wurde von den Borg getötet und so weiter. Ein Hintergrund kann tiefe Bedeutung haben, aber er sollte nicht als nachträgliches Allheilmittel dienen, das jede Charaktereigenschaft erklärt. In Der Zorn des Khan lastet Kirks Geschichte nicht wie ein tonnenschweres Trauma auf ihm, das all sein Handeln bestimmt. Stattdessen wird im Film deutlich, wie seine unbedachte Vergangenheit nun reale, gefährliche Folgen hat. Dieser Unterschied zur Behandlung von Picard in Staffel Zwei seiner eigenen Serie ist immens.


Neue Geschichten statt Kanon-Verwaltung
Das große Problem der aktuellen Live-Action-Serien sehe ich außerdem im oft katastrophalen Pacing über eine ganze Staffel hinweg. Hier kann man von einem zweistündigen Film wie Der Zorn des Khan wenig lernen, außer dass man aus einer zweistündigen Story keine zehnstündige Serie machen sollte. Was man aber sehr wohl lernen kann, ist die Fokussierung auf das Hier und Jetzt: Erzähl neue Geschichten und lass Kanon und Referenzen nur Hilfsmittel sein, anstatt sie ständig in den Vordergrund zu stellen. Die Figuren sollten Protagonisten ihrer eigenen Abenteuer sein, nicht bloß Reiseführer durch den etablierten Kanon. Und wenn es Verweise auf die Vergangenheit gibt, sollten sie organisch wirken, nicht wie ein peinlicher Griff nach Fan-Applaus.


Was „New Trek“ manchmal richtig macht
Ausgerechnet einer der besseren Kelvin-Filme, Star Trek Beyond, folgt diesen Prinzipien am stärksten. Er erzählt eine eigene Geschichte, anstatt nur alte Folgen und Ideen neu aufzuwärmen. Die einzigen überlieferten Elemente sind die Hauptfiguren, das Schiff und das Grundgerüst von Star Trek. Beyond stammt zwar auch noch aus dem Kelvin-Universum, doch anders als der direkte Vorgänger Into Darkness, der krampfhaft „Khan!“ brüllte, kommt Beyond beinahe ohne aufdringlichen Fan-Service aus. Man merkt, dass der Fokus auf Charakter- und Handlungsentwicklung liegt und nicht darauf, das alte Star Trek ständig zu beschwören.


Ein Foto als Beispiel
Das einzige größere Referenzmoment in „New Trek“ ist eine Szene in star Trek Beyond, in der Spock Prime ein Foto der klassischen Enterprise-Crew bei sich trägt, das Leonard Nimoys Spock nach dessen Tod symbolisch an den jungen Spock weitergibt. Doch dieser Moment hat Gewicht: Er zeigt Spock, was Gemeinschaft und Zusammenhalt bedeuten, und bestärkt ihn darin, seinen Platz in der Sternenflotte zu behalten. Die Nostalgie dient also der Geschichte und wird nicht benutzt, um uns ein vermeintlich wohliges Retro-Gefühl aufzuzwingen.


Midlife-Crisis: Kirk vs. Pike?
Strange New Worlds ist bislang das positivste Beispiel für gut gemachtes „New Trek“. Auch wenn es vor der Originalserie spielt und viele bekannte Figuren einsetzt, setzt die Serie vor allem auf gute Geschichten und Charaktere, statt sich in rückwärtsgewandtem Fan-Service zu verlieren. Zwar haben auch dort einige Personen ihre Päckchen zu tragen (Captain Pike weiß beispielsweise um sein eigenes, tragisches Schicksal), aber zum Glück sind diese Traumata nicht das einzige, worüber sich die Figuren definieren. Wenn es der Serie gelingt, weiterhin auf souveräne Art Neues zu erzählen und dabei die großen Momente des Kanons respektvoll zu integrieren, haben wir vielleicht noch weitere Höhepunkte vor uns. Vielleicht erlebt Pike ja sogar eine ähnlich ikonische Midlife-Crisis wie Kirk. Das wäre großartig – und auch ich hätte einen weiteren Grund, mich auf meine eigene mögliche Midlife-Crisis zu freuen.


Fazit
Zusammengefasst: Star Trek II: Der Zorn des Khan kann den Verantwortlichen hinter „New Trek“ deutlich machen, dass man Kanon als Fundament für eigenständige Geschichten nutzen sollte, anstatt sich darin zu verstricken. Past Traumas und bekannte Figuren sind legitime Werkzeuge, dürfen aber nicht zum Selbstzweck werden. Geschichten brauchen Fokus auf die Gegenwart und darauf, wie die Figuren agieren und sich entwickeln – statt im rückwärtsgewandten Gedenken zu verharren. Wenn Strange New Worlds diesen Kurs fortsetzt, könnte es tatsächlich eine würdige Fortführung dessen sein, was Star Trek immer ausgemacht hat: lebendige Charaktere, neue Horizonte und die Bereitschaft, Risiken einzugehen, anstatt in nostalgischer Selbstzufriedenheit zu verharren.

LLAP Chris

Eine Antwort

  1. Lieber Chris, ich bin total begeistert von dieser Rezession. Sekundenlang hab ich gedacht, wow, den Typen könnte ich heiraten, endlich mal jemand, der mit offenen Worten offenen Augen offenem Herzen und viel Fachmeinung über Star Trek redet. Ich wünschte alle Star Trek Fans, die guten wie die kritischen die Hater, wie die glühenden Bewunderer wie die Kritik-Fraktion würden sich deine Worte zu Herzen nehmen und noch mal genau drauf schauen, was sie an Star Trek wirklich alles bewegt.
    Mich haben deine Worte einfach nur glücklich gemacht. Viele Grüße, Monika

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